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Newsletter #2
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Herzlich willkommen und schön, dass Du dabei bist.
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Es war mir schon lange ein Anliegen, einmal auf die Unterschiede zwischen dem fotografischen Bild und den neuen, künstlich erzeugten Bildern hinzuweisen. Dabei spielt die Technik nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres. Aber dazu weiter unten mehr. Dass ausgerechnet das Buch von Daniel Stier in diesem Newsletter erwähnt wird, ist sicher kein Zufall. Dass Nan Goldin hier auftaucht schon. Schräger Film.
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Bilder ohne Kontakt
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Dass künstlich erzeugte Bilder nichts mit Fotografie zu tun haben, dürfte mittlerweile Allgemeingut sein. Und bitte verwechseln Sie die visuelle Ähnlichkeit der Oberfläche nicht mit einem technischen Zusammenhang. Wer einen Helm trägt, ist noch lange kein Polier. Sondern zunächst nur jemand mit Helm. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um als Fotografie bezeichnet zu werden, darüber wurde schon vor der Einführung des Kleinbildfilms und der massenhaften Produktion und Rezeption privater und öffentlicher Fotografie gerne diskutiert.
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Und doch scheint seit der frei zugänglichen Möglichkeit, Bilder durch die Eingabe von Prompts (Text) zu generieren, eine Welle der Erregung durch diverse Medien bis hin zu den digitalen Stammtischen zu geistern, die vom Untergangsszenario einer ganzen Branche bis hin zum Untergang der Menschheit reicht. Immer orientiert an den technischen Wahrscheinlichkeiten und dem festen Glauben, dass Computer und Algorithmen etwas mit der Welt zu tun haben.
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Mit der digitalen, online-Smartphone-Welt auf jeden Fall. Mit der Welt, in der wir uns physisch bewegen, sicher nicht. Auch die Aufzählung aller möglichen Berührungspunkte mit Algorithmen (Verkehrsmittel, Ampeln, Lampen, Kleidungsproduktion, Telefone etc.) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, uns nicht zu verletzen, wenn wir über einen Stein stolpern.
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Es ist schon viel über KI, Fotografie, ChatGPT und die mögliche Zukunft geschrieben worden. Meist mit negativem Unterton, dystopischem Unsinn oder sonstiger Aufgeregtheit, die sich immer nur um das dreht, was gerade technisch möglich ist, um daraus abzuleiten, was in Zukunft alles möglich sein wird. Fast nie habe ich gelesen oder gehört, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, was und in welcher Form erdacht und produziert, verbreitet und geglaubt wird. Für die Zukunft sind immer die anderen verantwortlich.
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Was kurz nach dem öffentlichen Zugang zu ChatGPT, Stabile Diffusion, Dall E2 etc. an „Versuchen“ durch das Internet geisterte, war kaum zu ertragen. Von ChatGPT-Interviews über unzählige Vergleiche zwischen "echten" und "gefälschten" Fotos bis hin zu billigen Beweisen, was KI-Bildgeneratoren schon heute zu produzieren in der Lage sind. Großartig. Mehr als ein Hochziehen der Augenbraue ist als Reaktion überflüssig.
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Natürlich ist die Möglichkeit verlockend, in Sekunden, Minuten, Stunden Bilder zu produzieren, deren Inhalte mit den Mitteln der Fotografie kaum möglich gewesen wären. Warum aber künstlich erzeugte Bilder die Fotografie verdrängen oder gar ersetzen sollen, ist mir ein Rätsel. Wenn dem so wäre, dann hätte das einen einfachen Grund: Die Unterschiede zwischen einem künstlich generierten Bild und einer Fotografie sind so groß, dass diejenigen, die das eine durch das andere ersetzen, nie an die Stärken der Fotografie geglaubt haben.
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Es liegt auf der Hand, dass im Bereich der kommerziellen Fotografie und insbesondere im Bereich der Stockfotografie eine große Aufregung herrscht, denn gerade hier wurde der Bildinhalt schon immer gegen die Oberfläche ausgespielt. Auf Kosten des Inhalts. Wer oder was auf den Stockbildern der Agenturen zu sehen war, spielte nie eine gewichtige Rolle, es musste nur „aussehen wie“, mehr nicht. Fast alle Bilder wurden zu Symbolbildern degradiert. Diese lassen sich nun leicht generieren. Irgendwo zwischen Unterhaltung und Klischeebestätigung, die sich im Kreis dreht. Dafür muss niemand mehr genervt eine Kamera in die Hand nehmen. Das ist toll. Wirklich.
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Ein neuer Ausstellungsraum in Hamburg
Hamburg hat einen neuen Ausstellungsort. Die HAMBURG WERKSTATT FOTOGRAFIE unter der Leitung von Michael Grieve. Die beiden Räume in der Bernhard-Nocht-Straße 8 scheinen wie geschaffen für kleine, feine Fotoausstellungen. Das Programm bietet genug Grund zur Vorfreude und legt den Fokus auf Einzelausstellungen von schon etablierten Fotograf*innen. Beginnend mit Anders Petersen und JH Engström ist bis zum 13. Februar 2024 eine Ausstellung mit Arbeiten der niederländischen Fotografin Bertien van Manen zu sehen. Ein Besuch lohnt sich. Es folgen Rut Blees Luxemburg und Ute & Werner Mahler. Ich hoffe, dass sich die HAMBURG WERKSTATT FOTOGRAFIE etabliert. Dann hätte die Stadt an der Elbe neben den Deichtorhallen, der Freelens Galerie und MK&G endlich einen vierten Ort, an dem regelmäßig Fotografie gezeigt wird. Das kann man nur begrüßen. Genauso wie der schöne Blick durch die Fenster auf Elbe und Hafen. Hingehen lohnt sich. WEBSEITE
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Empfehlung
Ein kleiner Hinweis auf eine Ausstellung, die noch bis zum 01. Januar 2024 im Museum Folkwang zu sehen ist. RAFAŁ MILACH – The Archive of Public Protests.
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Gerade erst mit dem Dr. Erich Salomon-Preis 2023 der DGPh ausgezeichnet, empfehle ich die Ausstellung blind, denn ich habe sie selbst nicht gesehen und ärgere mich sehr darüber. Davor möchte ich die Lesenden natürlich bewahren.
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Fotobuch
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Daniel Stier – WAYS OF KNOWING
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Das 2015 erschienene Buch begleitet mich in Gedanken, seit ich es auf einer Fotobuchmesse zum ersten Mal in den Händen hielt. Inzwischen ist es (bzw. die Arbeit) für mich zur Blaupause für den sinnvollen Einsatz von Fotografie im Raum zwischen Kunst und Wissenschaft geworden. Dabei ist die Grundlage der Arbeit so einfach: Daniel Stier hat Experimente und Versuchsanordnungen fotografiert. In Universitäten und Forschungseinrichtungen, in Kellern und an anderen „unwissenschaftlichen“ Orten. Trocken geblitzt, fast streng mittig kadriert. Nach dem ersten Durchblättern dachte ich reflexartig: „Der Typ ist ja völlig durchgeknallt, was der sich für verrückte Sachen ausdenkt. Und dann auch noch fotografiert. Sieht aber irgendwie ganz gut aus.“ Viel schöner war der Moment, als ich merkte, dass die Versuche alle echt waren. Alle? Nein. Daniel Stier hat sich in seiner Arbeit den wunderbaren Trick erlaubt, zusätzlich erfundene „Versuche“ im Studio zu fotografieren.
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Deutlicher kann eine Arbeit nicht darauf hinweisen, dass Fotografie viel zeigen, aber wenig erklären kann. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Bilder von den echten Versuchen oder von den falschen die schöneren sind. Ist das vielleicht egal? Nicht ganz. Die große Spannung innerhalb der Arbeit liegt in den unterschiedlichen Möglichkeiten des Erkennens, Suchens und Findens von Wahrheit und Täuschung. Dabei will Daniel Stier niemanden täuschen. Ich jedenfalls hatte nie das Gefühl, hinter das Licht der Wissenschaft geführt zu werden. Wer das Buch selbst durchblättert, merkt schnell, dass Stier einen guten Weg gefunden hat, seinen eigenen Experimentierwahnsinn von den Folterexperimenten der Kellerwissenschaftler zu trennen. Das ist eine eigene Erfahrung wert. Gutes Buch. Gute Arbeit.
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Und immer noch über Stiers eigenen Verlag zu bestellen.
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Crowdfunding
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Crowdfunding ist nach wie vor eine gute Möglichkeit, eigene Projekte zu finanzieren oder Geld für eine Buchproduktion zu sammeln. Spätestens während des Crowfundings für die erste (und einzige) Ausgabe des Magazins dieMotive wurde mir bewusst, welch harte und sehr stressige Arbeit eine Crowdfunding-Kampagne mit sich bringt. Deshalb werde ich an dieser Stelle in möglichst regelmäßiger Folge versuchen, erwähnenswerten fotografischen Projekten zu etwas mehr Öffentlichkeit zu verhelfen.
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ANTiFOTO Magazine A new edition about Photography, Street & Music; with: Paul Grund, Myr Muratet, Hannah Darabi & Benoit Grimberg, DJ Sundae and more.
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Im letzten Newsletter hatte ich schon auf das Fundraising von Katja Stuke & Oliver Sieber hingewiesen.
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Daran schließt sich jetzt noch ein Crowdfunding an. Darauf mache ich gerne nochmal aufmerksam. Und ich mag Schützenfestschiessstandfotos.
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Aus dem Text zum Crowdfunding:
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„ANT!FOTO Magazine is more than just a publication; it‘s a celebration of photography, art and culture. Each edition delves deep into a unique theme, featuring long interviews with photographers, artists, curators, writers, or musicians. Past contributors include names like Beni Bischof, Dean Sameshima, Taiyo Onorato/Nico Krebs; Ryudai Takano, Lieko Shiga, Stephen Gill, Adrian Sauer, Juergen Staack, Laura Bielau, Olivier Cablat, Jason Evans or Ted Partin.
The recent issues included texts and interviews about photography and space or about photography, music and fashion with Marc Feustel, Regine Ehleiter, Christoph Hochhäusler, Felix Hoffmann, Emilie Lauriola, Lesley A. Martin & Yurie Nagashima, Kyoichi Tsuzuki, Andrzej Steinbach or Tolouse Lowtrax.“
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Wer von Crowdfunding-Kampagnen für Fotoprojekte hört oder selbst eine plant: Bitte melden. Ich weiß, wie viel Arbeit das macht. Teilen kostet wenigstens nichts. Und fragen hilft.
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Filme zur Fotografie
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Foto: © Nan Goldin, Plaion Pictures
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All the Beauty and the Bloodshed
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Ein Dokumentarfilm über Nan Goldin, das klingt spannend. Der zweistündige Film von Laura Poitras teilt Goldins Leben leider in drei Teile, die seltsam zusammengeschnitten sind. Goldins Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt der Selbstmord ihrer deutlich älteren Schwester steht, Goldins Weg zur Fotografin und Künstlerin und ihr aktivistischer Kampf gegen die (Mit-)Verursacher der Opioid-Krise in den USA.
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Dass hier innerhalb von zwei Stunden immer wieder wild zwischen Aktivismus und der vermeintlichen Lebensgeschichte Goldins (sie ist mittlerweile 70 Jahre alt) hin und her geschnitten wird, tut dem Film nicht wirklich gut. Mir war zwischenzeitlich nicht klar, was ich mir da eigentlich anschaue: Eine Dokumentation über Nan Goldins Entwicklung zur Künstlerin oder eine Dokumentation über eine Aktivistengruppe, in der Nan Goldin zufällig auch ist. Zumindest der Teil mit dem Aktivismus ist gut erzählt, aber seit Serien wie Dopesick oder Painkiller ist die Geschichte der Sacklers und ihrer Geschäfte nun wirklich kein Geheimnis mehr. Auch wenn zumindest Painkiller erst 2023 erschienen ist.
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Trotzdem bleibt irgendwie die Frage offen, was man mit „All the Beauty and the Bloodshed“ zu sehen bekommt. Ein guter Film, um sich noch einmal vor Augen zu führen, welch kaputtes (aber nicht unglückliches) Leben Nan Goldin da so meisterhaft dokumentiert und fotografiert hat. Ein mittelmäßiger Film über den Zusammenhang von Kunst, Kapital und der Verantwortung von Museen. Zumindest in den USA. Ein schlechter Film, wenn es um die Herkunft und die familiären Altlasten der Familie Goldin geht.
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Leider ist der Film aktuell in keinem der gängigen Streamingabos verfügbar und muss überall geliehen oder gekauft werden.
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Eigene Sachen
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In der aktuellen Podcast-Episode spreche ich mit Lucia Halder über den Umgang mit ethnologischer Fotografie und natürlich über Verantwortung. Am Ende der Episode sprechen wir noch über ökologische Verantwortung. Das wäre vielleicht eine eigene Folge wert. Oder eine Diskussionsrunde.
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Das war der zweite Newsletter.
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Der nächste kommt im neuen Jahr. So bleibt mir an dieser Stelle nichts weiter zu sagen, als allen ein ruhiges Weihnachtsfest, schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen.
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Feedback, Anmerkungen, Hinweise und Sonstiges bitte an info@diemotive.de
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