Ausstellung

Jan Scheffler – 33 Licht

Jan Scheffler – 33 Licht

Seit über 20 Jahren zieht es den Berliner Fotografen Jan Scheffler (*1964) nach Island, Norwegen und Finnland, auf der Suche nach der Stille und dem Licht, die diese ursprünglichen Landschaften prägen. Es ist nicht allein das Grandiose einer nahezu unberührten Natur, die den Nordlandreisenden fasziniert, sondern das strahlende Licht des Nordens, das diese Landschaften zum Erleuchten bringt und einen unauslöschlichen Eindruck hinterlässt.

Trotz aller Härte der Touren bei Temperaturen von bis zu minus 35 Grad sind die physischen Umstände in den Bildern nicht zu sehen. Sie drücken vielmehr den Frieden und das Glück aus, das der Fotograf in den Momenten der äußeren wie inneren Stille empfindet. Seine Reisen in den Norden sind Reisen ins Innere, hin zu einem Zustand des Ankommens in einer Landschaft, die Gefühle größter Ruhe, tiefsten Friedens und höchster innerer Kraft an die Oberfläche zu bringen vermag: „Die Ästhetik dieser Natur, die vom Menschen ungefährdete Schönheit, beruht darauf, dass es keine Disharmonie gibt. Es gibt nichts Störendes. In dieser Landschaft ist man kein Suchender. Sie kommt zu einem. Ich kann die Kamera fast überall aufstellen, das Motiv kommt zu mir. Wenn die Landschaft einen Sog auf mich ausübt, vergesse ich Raum, Zeit, Essen, Trinken, dann bin ich Landschaft.“

Mit dem Wort „Licht“ verbindet man positive Werte wie Helligkeit, Wärme und Hoffnung, es steht symbolisch für das Gute, für Wissen, Erkenntnis und Wahrheit. Jan Schefflers Fotografien sprechen weder von der Erhabenheit der Natur noch vom Erlebnis des Sublimen, sie besitzen keine transzendente Dimension. Und doch befasst er sich bei seinen Reisen in den Norden mit dem Ursprung, dem Grund und dem Ziel allen Seins, das der Landschaft selbst innewohnt. Seine Fotografien sind nicht Idealisierung des Vorhandenen, sondern Ausdruck des Gefühls, das eine von menschlichen Spuren unberührte, lichtdurchtränkte, ohrenbetäubend stille, schreiend schöne nordische Landschaft in einem Betrachter auslösen kann. Seine Bilder sind nicht der poetische Ausdruck einer Landschaft, sondern Ausdruck einer poetischen Landschaft.

Jan Schefflers Lust am landschaftlichen Minimalismus ist das Gegenteil des horror vacui, das den erlebnishungrigen Vergnügungstourist antreibt. Bei ihm erlaubt erst das Nichts das Erlebnis. Seine Bilder appellieren nicht an äußere, sondern an innere Erlebnisse. Und er schafft es, diese Gefühlserlebnisse sichtbar zu machen und sie im Betrachter hervorzurufen. Dabei folgt er keiner Überwältigungsstrategie, sondern wendet stillere Methoden an. Seine Kompositionen beruhen auf dem Gesetz des Quadrats, das mehr Ruhe transportiert als ein Rechteck, weil das Zentrum von allen Ecken gleich weit entfernt ist. Das reduziert die Dynamik der bildbestimmenden Grundlinien und verleiht dem Bildgefüge Stabilität. Und doch sind diese Kompositionen ausgesprochen spannungsgeladen. Der häufig abrupte Wechsel zwischen Vorder- und Hintergrund, das Aufeinanderprallen von Gegensätzen der Bildflächen und Strukturen, die Vermeidung der Zentralperspektive sowie die reichhaltigen Farb- und Formvariationen verhindern eine allzu perfekte Harmonie. Denn erst Reibung erzeugt Wärme.

Abgesehen von den leuchtenden Spektralfarben des Sonnenlichts prägt das Element Wasser in seinen drei Aggregatzuständen den Ausdruck dieser Bilder. In seinen Aufnahmen manifestiert Scheffler das Verwoben-Sein der Elemente, wenn Eiskristalle in der Luft vibrieren, das Eis wispert, die Winde atmen oder das Licht tanzt, springt und schlägt. Wolken werden zu Bergen, Gletscher zu Wolken, Eisklumpen zu Salzkristallen, Bäume zu Eisblöcken, Schneedecken zu Wasseroberflächen, Salzwasser zu Gel, Licht wird zu Stein. Alles ist ein energetischer Zustand, gemäß der Einstein’schen Formel E=mc2 – Masse und Energie können ineinander umgewandelt werden. In diesen Bildern wird die ständige Metamorphose energetischer Zustände erfahrbar und die fließende Energie der Elemente zur puren Emotion.

2019 erschien der Katalog Jan Scheffler – 89 Licht, mit Texten von Jacqueline Majumder und Christiane Stahl im Hatje Cantz Verlag; 30,4 x 28,7 cm, 192 Seiten, 89 Abb., 48,- € (Deutsche und Englische Fassung)