Irgendwie war ich beruhigt, als Marco De Mutiis während eines Symposiums in den Deichtorhallen ganz vorsichtig, aber bestimmt darauf hinwies, dass der große KI-Hype (zumindest im Bereich der Bilder) verflogen zu sein scheint. Beruhigt, weil das auch meinen Eindruck widerspiegelt – und auch, weil man sich nun wieder anderen Dingen widmen kann und nicht ständig gegen Weltuntergangsszenarien anreden muss. Scheint alles schon normal geworden zu sein. Mehr als fotorealistisch und sich einer Oberfläche bedienend können Maschinen halt auch nicht.
Dabei können die generativen Bildgeneratoren natürlich genau eins nicht, nämlich das in ihren Speicher aufzunehmen, was per se nicht in digitaler Form existiert. Also analoges Material bis hin zur reinen (verfälschten) Erinnerung an die Welt. Das würde uns schon mal unterscheiden, den Mensch und die Maschine.
Nadine Isabelle Henrich sprach auf einem Freelens-Symposium (Link unten) dankenswerterweise den nachweislich vorhandenen Bias generativer KI-Bildgeneratoren an. Zumindest in diesem Punkt unterscheiden wir uns dann leider nur wenig von dieser Datenmaschine. Dafür sind wir selbst zu sehr von Verzerrungen beeinflusst.
Hier nochmal – als hätte ich noch nie darum gebeten, dieses Buch zu lesen – der Hinweis auf das großartige Werk Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman und Amos Tversky. Zum Thema Bias. Dagegen wirkt der Bias der Maschine noch wie ein Fötus.
Was jedoch deutlich interessanter war während des Freelens-Symposiums, war der kurze Teil, in dem es um das Thema Kreativität ging. Spannend. Aufgeteilt in ein „journalistisches Panel“ und ein „künstlerisches Panel“ – letzteres kann als Impuls für diesen Text gesehen werden. Beim künstlerischen Teil waren dabei: Sabine von Bassewitz, Nadine Isabelle Henrich und Boris Eldagsen.
Auf die etwas komplizierte formulierte Frage des Moderators, was er (Eldagsen) denn unter Kreativität verstehe, folgte ein seltsamer Monolog ohne wirkliche Antwort – mit dem Hinweis, das sei schwierig zu definieren, aber er halte es mit Margaret Ann Bodens drei Wegen. Womit er auf die Essaysammlung Creativity and Art: Three Roads to Surprise von eben jener Kognitionswissenschaftlerin verweist.
Zusammengefasst heißt das: Es ergibt sich immer etwas Neues, wenn man entweder:
- Bekannte Ideen oder Stile neu kombiniert (kombinatorisch),
- innerhalb eines bestehenden Systems neue Möglichkeiten entdeckt und ausprobiert (explorativ),
- die Regeln oder Grundannahmen eines kreativen Bereichs verändert (transformativ).
Eine wirklich eigene Idee von Kreativität findet sich in dem Gespräch leider nicht.
Da helfe ich (ohne Philosophiestudium) natürlich mit einem eigenen Gedanken gerne aus:
Kreativität äußert sich eigentlich immer in einem Prozess, dessen Anfang durch einen Impuls gesteuert wird. Diesen Impuls muss bei künstlicher Intelligenz nach wie vor ein Mensch liefern. Dummerweise braucht es für diesen Impuls keine Intelligenz. Schwierige Situation.
Intelligenz und Kreativität hängen zwar oft miteinander im gleichen Café rum, sind aber leider nur selten am gleichen Tisch zu finden. Was diese Diskussion um Intelligenz und Kreativität besonders spannend macht, ist nämlich der Umstand, dass man zu dem Schluss kommen könnte: Intelligenz und Kreativität sind gar nicht so oft beim Menschen zu finden.
Um sich dieser Erkenntnis zu entziehen, versucht man dann halt, die Definition so zu formulieren, dass man möglichst selbst damit gemeint sein könnte. Zack – schon ist auch der Mensch besonders intelligent und kreativ.
Findet sich oft in Diskussionen um Kunst und Kreativität. Und Werbung. Und Fotografie.
Die Definition orientiert sich nicht am Prozess, sondern nur daran, ob sie auch auf einen selbst zutreffen könnte.
Nach meiner eigenen (nicht allgemeinen) Definition könnte man Kreativität auch so versinnbildlichen:
Wenn man sich einen Handlungsprozess wie eine Autobahn vorstellt, schafft es die künstliche Intelligenz immerhin, auch zwischendurch mit wenigen Impulsen von außen eine Abfahrt ins Nirgendwo zu nehmen. Das könnte ja überraschen, wäre aber eher als Unfall zu definieren.
Die NEUE MASCHINE und die Intelligenz
Ein kreativer Mensch wäre dagegen in der Lage, während der Fahrt einfach anzuhalten, die Leitplanke abzuschrauben, rückwärts durch die Flora zu fahren, um dann stecken zu bleiben. Dann auszusteigen – und einfach weiterzugehen, vielleicht sogar auf den eigenen Händen, bis er einen Punkt erreicht, der ihm richtig, schön oder passend erscheint. Die Suche nach etwas, das nicht zu benennen ist. Dazu ist bisher keine KI in der Lage. Weshalb?
Jede KI basiert auf Daten vergangener Handlungen und Dingen, die neu kombiniert werden. Ohne eine Anweisung regt sich die KI jedoch nicht.
Kreative Menschen bekommen nicht gesagt: „Sei kreativ!“, „Denk anders!“, „Mach Fehler!“, „Sieh den Fehler als Ergebnis!“, „Sei mutig!“.
Sie tun das einfach. Aus einem Impuls, der glücklicherweise nie entschlüsselt wird.
Weshalb gehen Fotografinnen hinaus und produzieren Fotografie? Ganz genau wird man es nicht erfahren – da kratzen wir an Oberflächen.
Künstlerinnen bekommen Impulse aus der Welt, die sie umgibt. Diese führen zu der Autobahnfahrt. Kreativität entspringt einem Gefühl etwas tun zu müssen oder wollen.
Maschinen können diese Welt nicht fühlen, also auch keinen Impuls ableiten.
Interessant wird es erst, wenn Maschinen irgendwann eine Form von Bewusstsein entwickeln und ohne äußeren Impuls handeln. Dann wären sie vielleicht in der Lage, Ähnliches zu produzieren.
Die wichtigste Frage wäre dann jedoch: Wen interessiert denn, was eine Maschine oder ein Algorithmus fühlt?
Kunst von Computern für Computer – das wäre dann ein eigenes Genre. Und pure Langeweile.
Die Definition von Jean Piaget – „Intelligenz ist das, was man einsetzt, wenn man nicht weiß, was man tun soll.“ – ließe sich ebenso auf Kreativität anwenden. In beiden Fällen trifft folgender Satz zu: Die KI weiß immer, was zu tun ist.
Eines der besten Beispiele für kreatives Handeln als Prozess lieferten die Brüder Thomas und Martin Poschauko 2010 mit ihrer Arbeit NEA MACHINA – die Kreativmaschine. Ein Buch, das in keinem Regal selbsternannter kreativer Menschen fehlen sollte. Es zeigt den kreativen Prozess als Arbeit, als Fehler, als Variation der Variation. Mehrfach prämiert, ist es gewissermaßen die buchgebundene Definition von Kreativität. Da wird man schnell demütig in Bezug auf die eigene Selbsteinschätzung als „Kreativer“.
Das Zitat des Gestalters Eike König dient mir hier als wohlgemeinter Schluss:
„Wenn wir älter werden, scheinen wir die Tür zu schließen, die in die endlose Welt der Kreativität und Neugier führt. Nea Machina ist wie ein Schlüsselloch … Man schaut hindurch und ist erstaunt über die Möglichkeiten, die bei uns allen unter der Oberfläche schlummern. Dieses Buch ist die beste Medizin gegen die wohlbekannte Angst vor dem weißen Blatt.“
https://www.poschauko.de/neamachina
Das Symposium von Freelens kann man hier anschauen:
Das journalistische Panel: https://www.youtube.com/watch?v=L1OaBM0wYek
Das künstlerische Panel: https://www.youtube.com/watch?v=5306jCOam4Q