Fehleinschätzungen – Tausend Kilometer entfernt

Von Alexander Hagmann

Die Verschwörung in der deutschen Fotoszene.

„Alle, die nicht auf Monopole und Cliquen-Wirtschaft stehen, werden jetzt im ersten Moment vielleicht den Drang verspüren, sich zu besaufen.“
Einer von vielen völlig verrückten Sätzen, die nichts erklären, geschweige denn beweisen, aber sehr amüsant sein könnten. Wenn man genug Nervengift intus hat.

Was aber in dem von Peter Truschner am 16.01.23 veröffentlichten Beitrag steht, hat bei mir eine unmittelbare Reaktion ausgelöst, die der von Truschner beschriebenen Reaktion auf die von ihm erkannte „Monopol- und Cliquenwirtschaft“ sehr ähnlich ist.
Ich wollte mich betrinken. Anders kann man den Artikel nicht lesen.

Kaum ein Satz, kaum ein Absatz, in dem nicht irgendeine Ansammlung von Namen und Zusammenhängen eine große Verschwörung herbeifantasiert, die sich leider im nüchternen Zustand als völlig realitätsfremd erweist. Peter Truschner hat sich in einen (oder in einem?) Rausch geschrieben, der ihm den Blick auf das Wesentliche völlig verstellt. Das beginnt schon in den ersten beiden Absätzen.

Da ist die Rede von den „unzähligen Ausstellungen, Büchern und Dokumentationen (…), die zur Fotografie in der DDR in kürzester Zeit in Berlin zu sehen waren (und noch zu sehen sein werden)“, um sich direkt an Ostkreuz festzubeißen. Was folgt, ist ein Paradestück diverser kognitiver Verzerrungen, die entweder geschrieben oder zwischen den Zeilen zum Ausdruck gebracht werden.

Woran genau er die Dominanz ostdeutscher Fotografie und Ostkreuz festmacht, erklärt er natürlich nicht. Es scheint ihm zu genügen, dass er etwas wahrnimmt, um dann einfach ein paar Ostkreuz-Fotografinnen und ihre Verbindungen zu Ingo Taubhorn aufzuschreiben. Klingt leider etwas zu sehr nach Verschwörungstheorie.
Ostkreuz und Ingo Taubhorn übernehmen heimlich Fotodeutschland. Stimmt. Macht Sinn. Tut es nicht.

Es reicht ihm schon, dass Anett Stuht bei Arno Fischer studiert hat. Die Ärmste, hätte sie das mal besser gelassen, dann wäre aus ihr wenigstens keine gute Fotografin geworden. Smiley.

Und dann hält der böse Ingo auch noch die Rede zu ihrer Ausstellung. Unerhört. Ab jetzt werden Reden bitte nur noch von ….. (hier einen Namen eingeben, der nicht mit In.. beginnt) gehalten.

Es kommt noch schlimmer: „2019 ließ Taubhorn Tobias Kruse das Stipendium „Recommended“ zukommen.“ [sic]. Wie denn? Per Post? Hoffentlich nicht als Bücher-/Warensendung. Die brauchen immer so lange.

Dass Ingo Taubhorn 2018 das „Recommended“ Stipendium mit Nadja Bournonville, Lilly Lulay und Thomas Albdorf drei absoluten „Nicht-Ostkreuzlern“ „zukommen“ ließ, wird natürlich gerne weggelassen. Gleichzeitig mit Tobias Kruse waren übrigens auch die großartige Mika Sperling und Karla Hiraldo Voleau recommended – Olympus Fellowship-Stipendiat*innen. Die haben ebenfalls nichts mit Ostkreuz zu tun. Lässt man natürlich besser weg, passt ja nicht zum Szenario. Dabei befinden wir uns gerade doch erst im dritten Abschnitt des Textes mit der Überschrift „Zielsicher vorbei“.

Illuminati, Illuminati.

Es werden dann noch schnell einige Namen und Verbindungen in und um Ostkreuz genannt. Robin Hinsch hat ein Buch bei Buchkunst Berlin herausgegeben, Thomas Gust (Buchkunst Berlin) unterrichtet an der Ostkreuzschule, diese Schule wurde von Ute Mahler mitgegründet, bei der wiederum Robin Hinsch (an der HAW) studiert hat. Verrückt. Die wirklich einzigen drei Menschen in der deutschen Fotoszene, die eine Verbindung haben. Wahnsinn, was sich hier offenbart. Schnell noch notiert, dass Anne Schönharting (Ostkreuz) vor Anett Stuht im Haus am Kleistpark ausgestellt hat und BUMM, der Kreis schließt sich. 

Ruft die Illuminaten oder die CIA an, die können einpacken. Es gibt einen neuen Geheimbund. Mit Ingo Taubhorn an der Spitze. Dan Brown hätte seine Freude daran. 

Das Fotoarbeitsstipendium des Hauses am Kleistpark haben 2022 übrigens Alexander Rosenkranz & Florian Merdes erhalten. Mist, beide haben bei Brohm in Leipzig studiert. Der ist also auch dabei. Rette sich, wer kann. 

Aber auch der Fotograf Wolfgang Zurborn hat 2022 im Haus am Kleistpark ausgestellt, der kennt Ingo ja von der DFA. HAHA. Na dann, klar. Illuminati, Illuminati.

Ernsthaft? Von jemandem, der Philosophie, Politik und Kommunikationswissenschaft studiert hat, erwarte ich schon etwas mehr. Nur nicht eine so ausgeprägte Neigung zu einem peinlichen Bestätigungsfehler (confirmation bias). Ich nehme hier gerne das Beispiel des Bogenschützen, der erst nach dem Schuss die Zielkreise um den Pfeil malt. Er trifft immer.

Vielleicht ist es Herrn Truschner noch nicht aufgefallen, die deutsche Fotoszene ist nicht so riesig. Da kennt eigentlich jeder jeden. Und meistens hat der oder die auch bei dem oder der studiert oder ein Buch veröffentlicht oder ausgestellt. Wenn nur noch Menschen miteinander arbeiten dürfen, die sich vorher nicht kannten, können wir auch gleich einpacken. 

Na ja, sagt sich leicht, wenn man sich „die meiste Zeit tausend Kilometer entfernt gerade in einer intensiven Arbeitsphase befand“. [sic]
 

Ja, in den letzten 10-20 Jahren hätte man bestimmt irgendwie das Gefühl haben können, dass „Ostkreuz“ überall ist und Ingo Taubhorn auch. Das ist leider (sorry) Quatsch. Nur weil beide etwas mehr Sichtbarkeit haben, sind sie noch lange nicht auf dem Thron der deutschen Fotolandschaft angekommen. Denn diesen gibt es selbstredend nicht. Und selbst wenn in beiden Fällen eine erhöhte Sichtbarkeit vorhanden ist, muss man beiden (Ostkreuz und auch Ingo) einfach zugestehen, dass sie dafür auch einiges getan haben und man kann ihnen auch nicht einfach mit so einem Text unterschwellig jede erarbeitete Kompetenz und Reputation „wegschreiben“. Ob man die kuratorische Arbeit von Taubhorn oder das Konstrukt Ostkreuz mag oder nicht, sollte dabei überhaupt keine Rolle spielen. Es gibt noch viele andere Fotoagenturen und -schulen, von Kurator*innen ganz zu schweigen. 

Leider belässt es Truschner nicht dabei, sondern geht in die Vollen. Und wird persönlich.

Es wird als Hoffnungsschimmer beschrieben, dass „der informelle Chef-Promoter der Ostkreuzschule, Ingo Taubhorn“ [sic] nach der kommenden Ausstellung mit Kathrin Linkersdorff in den Deichtorhallen aufhört. Denn, „Der Wechsel in der Führungsetage am Haus der Photographie ist erfreulich und war längst überfällig.“ Das scheint Truschner auch über C/O zu denken. Er unterstellt beiden, Taubhorn und Hoffmann eine „Vorliebe für (gerne tote) US-amerikanische Fotografen“ und begründet das mit den Namen Saul Leiter und Irving Penn. Kein Wort zu der Kuratorin Kathrin Schönegg oder den vielen nicht-Amerikanern die bei C/O ausgestellt wurden.
Zumindest bei Taubhorn mag die Vorliebe nicht ganz aus der Luft gegriffen sein. Nur, Ausgestellt hat er sie in den Deichtorhallen nicht. Da waren in den Zehnerjahren nicht mal die Hälfte der ausgestellten Künstler*innen amerikanischer Herkunft. Aber selbst wenn, was soll ein Kurator denn tun, wenn nicht nach seinem Interesse ausstellen? Muss man nicht gut finden, für ernsthafte Kritik ist das jedoch zu wenig. 

Wird auch noch schnell nachgeschoben, dass ja zwischendurch auch noch die „Marke „Ingo & Friends““ mit Bialobrzeski und Mahler ausgestellt wurde und der Hinweis geliefert, für die Michael Wolf Ausstellung hätten andere das Fundament gelegt. Ach, lieber Peter, ich komme nicht mehr mit. Was genau soll denn ein/e Kurator*in der Deichtorhallen oder von C/O Berlin machen? 

In solchen Positionen ist es fast unmöglich, es immer allen recht zu machen. Dazu kommt noch, dass beide, Taubhorn und Hoffmann, sicher nicht immer einfach machen konnten, was sie wollten. Auch wenn es nach außen so aussehen mag, möchte ich mir nicht vorstellen, welche Zahnräder da am Werk sind. Hinzu kommt, dass der Druck eine Ausstellung zu machen, die nicht nur 120 Fotonerds anzieht, so groß sein muss, dass eben Blockbusterausstellungen zwingend notwendig sind. Da sollte man vielleicht als Perlentaucher den Kopf nicht so weit aus dem Wasser halten, wenn man das nicht versteht.

Habe ich was vergessen? Ach ja, die persönlichen Seitenhiebe.

Taubhorn sei ein „ machtbewusster Multifunktionär, den zu kritisieren in der Szene sich so gut wie niemand leisten kann und will.“ Der mit „seinem eingeschränkten Blick auf die Fotografie“ natürlich nicht dafür gesorgt hat das Richard Mosse oder Antoine D’Agata nach Hamburg kamen. 

Mosse ist Ire und D’Agata Franzose. Daran wird’s gelegen haben.

Über den Textausflug zum Vonovia Award muss man eigentlich nicht viel sagen. Denn den verleihen natürlich Taubhorns „Gleichgesinnte“ (Nina Röder, Peter Bialobrzeski, Heidi Specker, Reinhard Spieler, Anna Gripp) Hä? Da war doch auch Peter Bitzer. Der ist doch von Laif. Das Komplott nimmt ungeahnte Ausmaße an. Natürlich alle von Ingo Taubhorn persönlich eingekleidet. Der hat übrigens Vonovia gegründet. Weiß aber noch keiner.

Zum Schluss gibt es im Text von Truschner (nach einem unnötigen/unterschwelligen Seitenhieb in Richtung Essen und Leipzig) noch einen Wink mit dem Zaunpfahl, was denn Dirk Luckow (Deichtorhallen) nach dem Weggang von Ingo Taubhorn machen sollte. Am besten das internationale Kuratorinnenteam um Koyo Kouoh, Rasha Salti, Gabriella Beckhurst Feijoo und Oluremi C. Onabanjo von der letzten Triennale engagieren. Denn diese hätten, so Truschner, „aus völlig unterschiedlichen Ansätzen und Quellen gespeistes Material in einer konfrontativen Hängung der Werke und einer eigenwilligen Raumaufteilung intelligent und überzeugend in Szene gesetzt“. 

Tausend Kilometer entfernt

Angeblich hat Truschner darüber nicht geschrieben, weil er sich „… meist tausend Kilometer entfernt gerade in einer intensiven Arbeitsphase befand“. Oder vielleicht eher, weil er die Ausstellung einfach nicht verstanden hat. Ausgerechnet diese Ausstellung als Blaupause für die Zukunft der Deichtorhallen zu nehmen, zeigt, wie weit weg Peter Truschner wirklich gewesen sein muss. Eine derart komplexe und theoretisch überfrachtete Ausstellung mag manchem ein Glücksgefühl bescheren. Als Leitlinie für ein Haus der Photographie führt sie auf Dauer unweigerlich in den Bankrott. 

Es ist mir manchmal ein Rätsel, warum ein „Kritiker“ an prominenter Stelle nichts anderes zu tun hat, als sich an Personen und Institutionen abzuarbeiten. Mit schrägen Argumenten und noch undurchsichtigeren Motiven. Und warum erst jetzt? Will sich da jemand auf krude Weise für eine umgekehrte Doppelspitze bewerben? Truschner jetzt bei den Deichtorhallen und bei C/O Berlin. Dann geht es endlich bergauf mit der deutschen Fotoszene und die Monopole sind gebrochen. Dann gibt es nur noch Peter Truschner. Und der hält auch keine Reden. Und will auch niemanden kennen.

Am Ende unterstellt er noch Ingo Taubhorn, mit Ausstellungen über Jack Davison, Omer Fast und Alix Marie an seinem Image zu feilen. Puh. Was? Wie denn? Ich komme nicht mehr hinterher.

Es gibt sicherlich mögliche Kritikpunkte an der Arbeit Taubhorns und auch Hoffmanns. Bei allem persönlichen Unmut über eine Person sollte man aber bitte nicht vergessen, dass das Haus der Photographie durch die Arbeit von Taubhorn und C/O Berlin durch die Arbeit von Hoffmann zu dem wurden, was sie heute sind.

Truschner bezeichnet die beiden Positionen von Taubhorn und Hoffmann als die einflussreichsten in der deutschen Fotoszene. Wenn dem so ist, erklärt sich eigentlich von selbst, warum die beiden Institutionen samt ihrer Führung eine solche vermeintliche Omnipräsenz in der Fotoszene erlangt haben. Und auch, warum die Rampensau von beiden selbstverständlich viele Reden hält und auch sonst präsenter ist als andere. Es liegt in der Natur der Sache. Das kann man nur mit viel Frust und Neid im Gepäck kritisieren.

Er hätte es dabei belassen können, aber nein. Da muss noch schnell ein Absatz folgen, dass man es im „Alltag zwischen Sammlung Falckenberg und Stiftung Gundlach, Photonews und Griffelkunst lieber ruhig angehen lässt“[sic]. Aha. Was stellt sich Herr Truschner vor? Dass alle Genannten ganzjährig Hamburg als Fotofestivalstadt bespielen?

Was also will Truschner mit diesem Text genau? Es scheint, als habe er einfach einen völlig unreflektierten Rundumschlag geschrieben, ohne sich auch nur einmal über die Plausibilität seiner Vermutungen Gedanken zu machen. Als Autor, der Philosophie, Politik und Kommunikationswissenschaften studiert hat, unterstelle ich ihm eigentlich ein hohes Maß an Intelligenz. Daraus folgt aber, dass er mit diesem Text tatsächlich nur Bashing betreiben wollte und dies mit wohlüberlegten Mitteln tut. Anders ist dieser Fehlschuss inklusive Verschwörungsideen und Mutmaßungen leider nicht zu erklären. Er scheint genau zu wissen, was er tut, was ihn leider als stumpfen Polemiker entlarvt. Wäre dem nicht so, könnte man ihn schlicht als unreflektiert bis dumm bezeichnen.

Zusätzlich ist der Text eine Ohrfeige für eine komplette Szene, die nicht so groß ist, wie Truschner glaubt. Nur die drei prominentesten Institutionen mit Ihren Führungspositionen ins Ziel zu nehmen lenkt deutlich von den vielen anderen Institutionen mit guten und kompetenten KuratorInnen ab. 

Merkt man nur nicht, tausend Kilometer entfernt. 

Das Titelbild ist von Stable Diffusion / KI generiert. Es sollte nur ein Bild eines Geheimbundes generieren. Gut gemacht. So ungefähr dürfte sich Peter Truschner die Verschwörung wahrscheinlich vorstellen.