Gute Konzepte, nicht so gute Konzepte und ausgesuchte Zutaten.

Die Arbeit setzt sich mit diesem oder jenem auseinander, ist eine fotografische Erforschung über …, die Bilder versetzen die Betrachterinnen und Betrachter in einen Zustand von … . 

Immer wieder stoße ich auf Konzepte mit solchen Textfragmenten, teilweise habe ich solche „Konzepttexte“ auch selbst schon geschrieben. Meine Reaktion beim Lesen schwankt dann irgendwo zwischen Unverständnis, kurzer Verzweiflung und lautem Lachen. 

Es gibt unzählige Möglichkeiten, fotografische Arbeiten mit einem Konzepttext zu erklären, zu verstärken, zu untermauern oder zu beschreiben. Warum aber FotografInnen und KünstlerInnen immer wieder dazu übergehen, einfache Phrasen, ganze Sätze oder gar ganze Absätze aus den Tiefen des kollektiven Unsinns an die eigene künstlerische Arbeit anzudocken, ist mir ein Rätsel. Bei mir selbst war es zumindest meist schlicht (Denk-)Faulheit, die Angst, herauszufinden, dass die schöne Arbeit doch ein bisschen Bullshit ist, oder schlimmer noch, dass man selbst gar nicht weiß, was man tut. Aber ich schließe natürlich nicht von mir auf andere. Niemals.

Wenn andere das Schreiben übernehmen, also AutorInnen, KuratorInnen, KritikerInnen etc. ist ein großer Schritt schon getan. Das führt zwar nicht kausal zu besseren Texten, aber der Fortschritt der Emanzipation zur ernsthaften Künstlerin oder Fotografin scheint mit der Anzahl extern geschriebener Texte zu korrelieren.

Vielleicht ist es als bescheidene Bitte auch zu viel verlangt, doch einfach nichts zu schreiben, wenn man nicht genau weiß, was, wie und warum man seine Arbeit macht. Das schließt natürlich auch jene Texte mit ein, die nicht von den KünstlerInnen selbst stammen, sondern von AutorInnen für Ausstellungen, Bücher oder Kataloge geschrieben wurden. Ich bin überzeugt, dass manche Arbeiten ohne den begleitenden Konzepttext besser dastehen würden.

Es verwundert nicht, dass zumindest auf den Webseiten aktuell interessanter oder renommierter KünstlerInnen kaum Texte oder Erklärungen zu finden sind. Weder zu einzelnen Arbeiten, noch als Artist Statement oder „About“. Das Selbstverständnis der eigenen Arbeit ist glücklicherweise mehr wert als die Erklärung, was warum gemacht wurde. Mehr als Lebenslauf, Ausstellungen, Stipendien und vielleicht der Wohn-/Arbeitsort sind nicht zu finden. Eigentlich schön. Warum dann in Ausstellungen gerne wieder auf das Erklären und Diskursivieren zurückgegriffen wird, bleibt ein Rätsel. Dabei sind Konzepttexte grundsätzlich eine gute Sache, wenn da nicht der inflationäre Gebrauch von „Auseinandersetzung“, „Erforschung“, “Hinterfragung“ oder „Untersuchung“ wäre.

Zu schreiben, dass sich die Arbeit mit diesem oder jenem auseinandersetzt, erscheint semantisch fragwürdig. KünstlerInnen und FotografInnen können sich mit etwas auseinandersetzen und die Ergebnisse oder Prozesse sichtbar machen, künstlerische/fotografische Arbeiten können das nicht. Ja, das klingt pedantisch und nach Textsheriff, aber mich nerven solche Sätze trotzdem. Geschrieben habe ich es selber oft genug. Vielleicht steckt hinter diesen Formulierungen auch der Wunsch, die eigene Arbeit würde sich eigenständig machen und über dem Künstlerdasein schweben. Wer weiß?

Aber „Die Arbeit setzt sich mit der Adoleszenz einer technokratischen Bewegung im Zusammenhang mit … auseinander“ (das habe ich mir gerade ausgedacht) oder „Mit einer Vielzahl kreativer Ansätze erforschen die Künstlerinnen und Künstler die Komplexität der Darstellung von … in der Kunst und hinterfragen die damit verbundenen historischen Zwänge“ (das habe ich mir gerade nur vielleicht ausgedacht) klingen eher nach Misstrauen gegenüber dem Werk und einem Mangel an (Bild-)Inhalt. Historische Zwänge, Komplexität der Darstellung, Hinterfragen. Das liest sich ein bisschen wie die „ausgewählten Zutaten“ in einem ganz besonderen Essen oder Gericht. Sind die Zutaten nicht immer ausgewählt? Hoffentlich. Wenn in der Linsensuppe plötzlich wie von Zauberhand mehrere Stücke New York Cheesecake auftauchen, weil niemand die Zutaten ausgewählt hat, wäre das ja nicht so schön. Das Gegenteil von „Komplexität der Darstellung“ könnte die „Schlichtheit der Darstellung“ sein. Habe ich wissentlich noch nie gelesen. Was daran liegt, dass jede Form der Darstellung hochkomplex ist. Oder daran, dass das Zuschreiben einer Komplexität zu einem zu untersuchenden Ding, die angebliche Untersuchung erst rechtfertigt. Komplexe Sache, so nen Text.

Wenn in Arbeiten etwas „untersucht“, „erforscht“ oder sich mit etwas „auseinandergesetzt“ wird, bedeutet das leider allzu oft auch: „Es gibt zwar tausend Fragen, Ansichten, Meinungen, aber keine Antworten, und die Ergebnisse können zwar aufgeschrieben oder ausgewertet werden, aber fotografisch/künstlerisch bleibt die Arbeit ein hübsches blindes Huhn“. Nicht, dass eine Untersuchung mit den Mitteln der Fotografie nicht spannend sein könnte. Gute Beispiele gibt es genug. Nur sind es dann auch wirklich Untersuchungen, die als solche erkennbar und nachvollziehbar sind.
Etienne Jules Marey sollte wirklich als Vorbild dienen, wenn von einer Untersuchung die Rede ist.

Gleichzeitig scheinen fotografische Bilder/Arbeiten nur sehr begrenzt in der Lage zu sein, Fragen zu stellen und auch Antworten zu geben. Zumindest findet man beides viel zu selten in Arbeiten oder Ausstellungen, deren Konzept genau diese „Auseinandersetzung“ und „Fragestellung“ kolportiert. Da ich natürlich niemanden und nichts öffentlich angreifen möchte, bleibe ich wage, muss aber trotzdem sagen, dass Unsinn nicht nur bei KünstlerInnen und FotografInnen zu finden ist, auch Institutionen oder ganze Fotofestivals scheinen oft nicht so genau zu wissen, warum, wieso und wozu sie eigentlich existieren. Schnell erkennbar an einer Aneinanderreihung von vermeintlich zu verhandelnden Fragen (Fragestellungen), die dann aber nie wirklich verhandelt werden. Man könnte auch sagen: Konzepte, die aus einer Aneinanderreihung von Fragen bestehen, sind ein Indikator für fehlende inhaltliche Relevanz und ein gutes Zeichen für Sprachlosigkeit.

Achtung, Antwort der AutorInnen: „Die Antworten liegen bei den Betrachter*nnen/Besucher*innen und nicht in unserer Verantwortung“. Klar, easy. Fragen ist gut, aber wie groß kann der Erkenntnisgewinn sein, wenn die „Antworten“ nie gesehen, gelesen oder gehört werden? Noch besser, die Fragen sind alle geschlossen, also nur mit Ja oder Nein zu beantworten. Herzlichen Glückwunsch, wer selbst nicht weiß, was und warum er etwas wissen will, schreibt ein Konzept oder ein Statement als Ansammlung geschlossener Fragen, damit kann man auch guten Arbeiten den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich möchte das explizit erwähnen: Schlechte Konzepttexte zu guten Arbeiten finden sich deutlich häufiger als gute Texte zu schlechten Arbeiten.

Auf die absurde Variante, Texte mit Behauptungen oder gar Aufforderungen zu füllen, was die Betrachter*nnen beim Betrachten fühlen, sehen und denken sollen oder was man beim Betrachten tatsächlich fühlt, sieht und denkt, möchte ich hier nicht weiter eingehen. Jedenfalls ignoriere ich Arbeiten völlig, sobald ich so etwas lese. Inzwischen versuche ich, Konzepttexte in Ausstellungen erst nach dem Besuch zu lesen. Dann bin ich nicht schon vorher genervt.

Bitte, liebe KünstlerInnen, FotografInnen, Institutionen und Festivals: Wenn Texte zu Arbeiten oder Ausstellungen entstehen, dann darf es auch Texte geben, die zum Verständnis beitragen, Arbeiten oder Ausstellungen einordnen oder die Grundmotivation künstlerischen Handelns zumindest grob skizzieren. Und zwar ohne sich in Untersuchungen, Erforschungen oder Auseinandersetzungen zu flüchten. Es sei denn, es geht tatsächlich um die Darstellung oder Vermittlung eines Versuchs, einer Auseinandersetzung oder einer (erkenntnistheoretischen oder wissenschaftlichen) Fragestellung. Es muss nicht alles so klingen, als wäre es von https://www.artybollocks.com/ oder einem KI-Textgenerator geschrieben worden. Wer für Konzepttexte o.ä. einen KI-Generator verwendet oder einfach nur wiederholt, was andere schon geschrieben haben, wird die Frage, warum und wie die Arbeit entstanden ist, letztlich nur mit einem Achselzucken beantworten können. Ein Achselzucken ist keine ausgewählte Zutat. Es ist höchstens ein vertrockneter New York Cheesecake in einer Linsensuppe.

 

Das gezeigte Bild ist natürlich ein KI-generiertes Bild und darf als bescheuertes Symbolbild angesehen werden. Wer legt schon Cheesekace in Linsensuppe.