Mit Sandsack vor dem Serverraum

Es ist ruhiger geworden, ruhiger als erwartet. Die Gründungskommission für das Deutsche Fotoinstitut scheint an der Arbeit zu sein. Das ist gut so. Auch der Standortdiskurs hat sich inzwischen beruhigt. Noch besser. Ging es doch fast ausschließlich um den zukünftigen Standort und die Frage, wer denn nun die besseren, bereits vorhandenen Kompetenzen mitbringt, um ein Institut zu gründen. Essen hatte den Platz und wirklich Tradition, Düsseldorf die Nase vorn und den frühen Vogel in der Tasche. Will sagen: Es gab eine Zusage und was sich daraus entwickelt hat, ist inzwischen gut dokumentiert. In dem ganzen Wirrwarr aus Meinungen, Konzepten, Kommissionen, Millionen, Zusagen, Beschlüssen und guter bis schlechter städtischer PR wurde zumindest die Kernaufgabe nie wirklich öffentlich diskutiert. Warum, kann man nur vermuten. Die Konzepte aus Düsseldorf und Essen jedenfalls setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Hüben wie drüben werden gerne die Worte Archiv, Sammlung, Konservierung, Restaurierung, Nachlass und Vorlass bemüht, um die Dringlichkeit einer nationalen Institution zu unterstreichen. Alles nicht falsch und sicherlich wichtig. Zwei Punkte wurden jedoch immer wieder vernachlässigt.

Die grundsätzliche Irrelevanz des Standortes und eine fundierte Einschätzung, wie nicht nur mit  jetzigen, sondern auch mit zukünftigen Archiven umgegangen werden soll, wurden kaum formuliert. Es war fast schon amüsant zu beobachten, wie beide zur Diskussion stehenden Standorte sich bemühten, ihre eigene Kompetenz und Geschichte als Argument für den Standort anzuführen. Ich habe das bis heute nicht verstanden. Welche Relevanz hat die historisch gewachsene Kompetenz eines Standortes für die praktische Umsetzung einer Neugründung? Wenn alle bestehenden Institutionen schließen, um in einem neuen Institut wieder aufzuerstehen, dann, ja dann kann man vorhandene Kompetenz nutzen. Sonst bedeutet eine Neugründung eben auch neue Mitarbeiter*innen, neues Haus, neue Aufgaben, neue Ideen. Das kann man, sorry, auch in der Gemeinde Edermünde gründen. Telefon- und Internetanschluss haben sie auch, eine Autobahn ist in der Nähe und ein ICE-Bahnhof in Kassel um die Ecke. Auf nach Edermünde! Bei steigendem Meeresspiegel sind da auch keine Probleme zu erwarten. Wäre eine sichere Bank. Soll ja die Menschheit überdauern: mein Fotoschatz.

Und wenn die historisch gewachsene Kompetenz nun (aus nachvollziehbaren Gründen) wirklich ins Gewicht fallen sollte, dann könnte man von beiden Seiten auch die Ehrlichkeit erwarten, dass Köln in diesem Fall wirklich mehr im Rucksack hat. Geschenkt. Es ist, wie es ist, es soll wohl Düsseldorf werden. Das Institut kann überall stehen, also auch in Düsseldorf. Nur bitte nicht auf der Grundlage des Konzepts des DFI E.V. Ich vermute, dass die Initiative um Andreas Gursky und Moritz Wegwerth nicht wirklich mit diesem Ausmaß an Diskussionen gerechnet hat, als sie den Verein gründete. Sie hatten selbstredend die Fokussierung auf künstlerische Arbeiten im Sinn, das ist die Kernkompetenz der beiden. Ihnen das vorzuwerfen, zeugt eher von einem Mangel an Empathie und Reflexion als von sachlicher Argumentation. Die Idee einer größeren, umfassenderen Institution kam erst in den öffentlichen Diskurs (sie war schon vorher gedacht, aber nie wirklich ausformuliert worden), nachdem 41 Millionen bewilligt waren und offenbar viele dachten: „Hä, damit kann man doch so viel Besseres machen, als großformatige Fotografien zu restaurieren“. Ja, das könnte man.

Was die Diskussion dann etwas erschwerte, war die Tatsache, dass man in Düsseldorf bereits den Namen „Deutsches Fotoinstitut“ in den Vereinsnamen geschrieben hatte. Dumm gelaufen. Denn der Name war wohl etwas zu groß für das eigentliche Konzept und die Idee. Jeder und jede hatte plötzlich eine sehr genaue Vorstellung davon, was so ein Institut sein sollte. Und warum es notwendig war. So konkurrierten nicht mehr nur Städte, sondern auch Ideen für ein Institut um Geld und Politik und jeder wollte etwas anderes. Mal mehr konzeptionelle Tiefe, mal weniger Politik, mal mehr inhaltliche Breite, mal mehr Prestige, mal mehr Zukunftsfähigkeit, mal mehr historische Archivbestände.

Die Frage, ob das wirklich nötig sei, wurde zwar durchweg bejaht, aber die Gründe dafür waren fast so unterschiedlich wie die Kiesel am Strand.

Der zweite wichtige Punkt fehlt in den Überlegungen auf beiden Seiten. Wie soll in Zukunft mit Archiven umgegangen werden, die in materieller Form gar nicht mehr existieren? Die Wahrscheinlichkeit, dass zukünftige Generationen von Künstler*innen und Fotograf*innen überhaupt keine materiellen Archive mehr besitzen, scheint für viele tatsächlich Zukunftsmusik zu sein.

Auch digitale Datenspeicher benötigen Platz und vor allem Energie. Im Konzept des DFI findet sich im Raumprogramm ein Bereich mit dem Titel „SERVER (ARCHIV)“. Nimmt ca. ⅓ der Fläche des Cafés/Bistros ein. Interessant und dumm zugleich. Das gesamte Düsseldorfer Konzept scheint nur auf die Archivierung von Fotografie/Kunst bis in die 20er Jahre dieses Jahrtausends ausgelegt zu sein. Im Konzept für das “Bundesinstitut für Fotografie“ liest man schon etwas mehr zum Thema Datenarchiv. Dennoch scheint der Fokus auf analogem Material bzw. der Digitalisierung eben dieses Materials zu liegen. Ich bitte höflich um Entschuldigung, aber das ist an dieser Stelle zu kurz gedacht.

Die Menge an Datensätzen und Pixeldateien auf den Festplatten und in den Cloud-Speichern der hiesigen Fotograf*innen und Künstler*innen dürfte schon bald das analoge Material der letzten knapp 200 Jahre Fotogeschichte überschreiten. Weniger wird es nicht. Einfacher auch nicht. Wer wirklich ein diffuses fotografisches Erbe bewahren will, sollte nicht vergessen, dass dieses Erbe nicht abgeschlossen ist. Sonst begeht man ähnliche Fehler wie die Ingenieure beim Schutz des Atomkraftwerks in Fukushima: Man baut den (Flut-)Schutz so, wie es die Daten zum Zeitpunkt des Baus zulassen. Also historische Daten, die einen Tsunami dieser Größenordnung nicht für denkbar hielten. Das Ergebnis ist bekannt. 

Es braucht keinen Daten-Tsunami (Bilderflut you know), um die Wahrscheinlichkeit in Betracht zu ziehen, dass digitale Archive in Zukunft immer größer und voller werden. Ganz zu schweigen von der Anfälligkeit digitaler Speichersysteme. Ein bisschen mehr Hochwasser als sonst, und man stünde auch in Düsseldorf mit Sandsäcken vor dem Serverraum. Das Institut soll ja direkt am Rhein liegen.

Dass mittlerweile eine ganze Generation von Künstler*innen fotografische Bilder nicht mehr als Material für Wände erarbeitet, darauf hat auch schon Anika Meier in einem Text bei Monopol hingewiesen. Und da geht es nur um die noch kleine Zahl der Künstler*innen.

Wenn nun immer wieder von der Bewahrung und Archivierung eines „visuellen Gedächtnisses“ die Rede ist, fehlt oft eine gute Definition dieses Gedächtnisses. Was gehört dazu und was nicht? Und viel interessanter: Warum muss alles archiviert werden? Tun wir mal so, als ob nicht ohnehin eine große globale Krise durch die fortschreitende Erderwärmung und ihre Folgen auf uns zukommt, was muss denn eigentlich für welche Generation in Zukunft aufbewahrt werden? Nicht, dass Archive nicht wunderbar sind und auch viel über die Gegenwart erzählen können, aber sie transportieren leider allzu oft nur eine ihnen zugeschriebene Relevanz, ohne diese für die Zukunft unter Beweis zu stellen. Warum wir Menschen so sehr an der Vergangenheit hängen, müssen die Psychologen erklären, mir kommt es manchmal komisch vor, dass jeder Blick in die Vergangenheit nur mit der vermeintlichen Gewissheit der Zukunft aus der Gegenwart erfasst wird. Es ist, als würden wir ständig rückwärts laufen, in dem Glauben, dass das, was wir vor uns sehen, spiegelbildlich auch hinter uns liegt. Vielleicht schaffen wir es mit dieser Art der Fortbewegung bis nach Edermünde. Aber dann ist Schluss, mitten in Deutschland, vor einem Papierarchiv.