Über Ausstellungen und eine Checkliste

Ausstellungen sind neben dem Fotobuch die einzige Paradedisziplin innerhalb der Arbeit mit Fotografie. Daran hat auch die vollständige Digitalisierung der Vertriebs- und Vermittlungsformen durch das Internet bisher nichts ändern können. Ich habe bis heute noch kein Format gefunden, das die Themen und Inhalte, denen sich Fotograf*innen und Künstler*innen widmen, besser präsentiert oder zusammenfasst als in Form der Ausstellung. Damit sind natürlich Kunstausstellungen im Bereich der Fotografie gemeint. 

Ich zitiere gerne Timm Starl aus seinem Text „Die Vertreibung des Publikums aus einer Ausstellung“, der 2014 in der zweiten Ausgabe der „Cahiers – Hefte zur Fotografie“ erschienen ist, an deren Entstehung ich während meines Studiums maßgeblich beteiligt war. Also an der Heftreihe, nicht an der Vertreibung.

„Alles, wovon die Rede ist, behandelt ein Randgebiet des Kunstbetriebes, nämlich die Fotografie, deren Expositionen für diesen ebensowenig typisch sind wie die Provinz für die Metropole oder die Peripherie für das Zentrum.“

Timm Starl in “Die Vertreibung des Publikums aus einer Ausstellung”

Und genau an dieser Stelle wird es schwierig, eine Trennschärfe zwischen Kunst, Wissenschaft, Vermittlung, Privatvergnügen und Ökonomie herzustellen. Denn ausstellen kann man im Prinzip alles. Ein Raum, ein Bild, fertig, Ausstellung. Starls Text ist jetzt 26 Jahre alt. Da hat sich schon einiges verändert.

Was also macht Ausstellungen besser oder schlechter? Dafür gibt es keinen Kriterienkatalog. Das ist auch gut so. Zu groß ist die Abhängigkeit von persönlicher Erfahrung, Bildung, Interesse und auch Tagesform. Was mir oft hilft, ist meine eigene kleine Checkliste, die ich bei jedem Ausstellungsbesuch mal bewusst, mal unbewusst abhake. Oft fällt es mir schwer, meine Bewunderung oder Enttäuschung nach einem Ausstellungsbesuch klar zu formulieren. 

Einmal wurde ich mit der Frage überrascht, ob die Fotos in der Ausstellung gut seien. Hä? Häääää? Das hätte meine Antwort sein sollen. Ich verstand die Frage nicht. Für mich können gute Fotos auch Teil einer schlechten Ausstellung sein und umgekehrt. Als Denkimpuls, um über mögliche Kriterien zu reflektieren und darüber nachzudenken, ob meine Kriterien einer gelungenen Ausstellung genauso persönlich sein können, wie die Vorstellung derer, die zuerst schauen, ob die Fotos „gut“ sind, war die Frage jedoch großartig.

Dass ich eine so große Affinität zu Ausstellungen mit und von Fotografien habe, liegt an der Besonderheit, dass das Ausstellen von Fotografie als fest umrissener Komplex in sich erscheint. Bilder sind hier nichts Ephemeres auf einem Screen, keine festen Flächen auf Buchseiten, sie sind Teil einer großen Inszenierung, über deren Sinn, Zweck und Nutzen ich jedes Mal aufs Neue nachdenke.

Wenn ich eine Ausstellung betrete, schweift mein Blick meist schnell umher, ich orientiere mich und versuche herauszufinden, ob sich vielleicht ein Hinweis findet, wie ich gedanklich in die Ausstellung hineinkommen kann. Nicht immer werde ich fündig. Das mag auch daran liegen, dass nicht jeder Raum dafür gemacht ist, einen klaren Einstieg ins Thema zu bieten. Manchmal bin ich aber auch blind. Mea culpa. 

Dann passiert folgendes: Wenn ich nicht sofort einen Triggerpunkt finde, laufe ich (immer noch blind) ziemlich schnell durch die Ausstellung. Dabei versuche ich, die eingeübte Körperhaltung (Arme hinter dem Rücken) zu vermeiden, um nicht sofort auf irgendein Bild zuzulaufen und in den Einzelbildsuchmodus zu schalten. Umherschweifen und Flanieren ist auch in kleinen Ausstellungen möglich, wirkt vielleicht etwas unruhig und komisch auf die Umstehenden, hilft aber beim Nachdenken. Bei Vernissagen endet es immer in einem endlosen Hin- und Herlaufen, um zwischen Köpfen, Sektgläsern und Menschenhaufen etwas zu sehen. Aber es macht Spaß. 

Übrigens: Die Körperhaltung beim Durchqueren von Ausstellungen sollte vielleicht einmal gründlich studiert werden. Hände hinter dem Rücken: Einzelbildsuchmodus und auch Verlegenheit. Arme verschränkt: Arroganz gegenüber den Werken. Hände in den Hosen- oder Jackentaschen: Komisch und nicht ganz bei der Sache. Vielleicht ein andermal mehr dazu.

Ich laufe also so lange herum, bis etwas Interessantes auftaucht oder ich ein Gefühl für den Inhalt, das Thema oder den Zweck der Ausstellung bekomme. Das Lesen der Einführungstexte verschiebe ich auf die Mitte des Rundgangs, wenn ich das Gefühl habe, mehr wissen zu müssen, oder lasse es ganz weg. 

Nach dem ersten Überblick beginnt das Abhaken der imaginären Checkliste.

Es wäre zu viel verlangt zu erwarten, dass jede Ausstellung immer etwas mehr will, als nur Bilder zu zeigen. Und doch suche ich zuerst nach dem Grund für die Ausstellung. Ist es ein inhaltlicher, ist der erste Punkt abgehakt. Ist es nur eine Leistungsschau, wird es schwierig, mich zum Bleiben zu überreden. Als Leistungsschau empfinde ich (Foto-)Ausstellungen, die verschiedene Arbeiten ohne übergeordneten thematischen Rahmen oder Zusammenhang präsentieren. Dies ist vor allem bei Gruppenausstellungen der Fall, deren einzige Motivation das Ausstellen ist. Das Ausstellen als Selbstzweck. Es ist harte Arbeit, mich davon zu überzeugen, dabei zu bleiben. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann das funktionieren.

Zum Beispiel, wenn die einzelnen Arbeiten jeweils als Werk in ihrer Form und Präsentation klar und zwingend sind. So, dass ich den (hoffentlich vorhandenen) Inhalt verstehen oder zumindest erahnen kann und der Grund für die Präsentation erkennbar wird. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Angefangen bei der Wahl des geeigneten Rahmens bis hin zur Form der Hängung und der Rahmung an der Wand oder im Raum. Ganz zu schweigen von der Präsentation auf Bildschirmen oder durch Projektionen. 

Ich habe schon gesehen, wie Bilder von Surfern und Wellen auf Teile von Surfbrettern gedruckt an der Wand hingen. Das war ein gutes Beispiel dafür, wie man es schafft gerade so bis zum Tellerrand zu denken. Es ergibt weder Sinn, noch hat es den Bildern geholfen. Es war eher ein Ausdruck dafür, dass man den Bildern selbst zu wenig zutraut, um sie auch alleine stehen zu lassen. Überinszenierung überlagert den Bildinhalt. Ja, es gibt Ausnahmen. Wie immer.

Manchmal hilft es, sich von der Wand zu entfernen und zu schauen, was im Raum passiert, welche Blickachsen sich ergeben, wohin der Blick schweift oder wo es Überlagerungen gibt.

Wenn die Grundordnung verständlich ist, ist zumindest die halbe Arbeit getan. Dann geht es ans Eingemachte und ich erst spät nach Hause. Jetzt muss die Ausstellung das Ausstellungsthema oder zumindest den Anlass tragen können. Also die alles umfassende Frage: Worum geht es? Und gibt mir die Ausstellung durch die Kombination ihrer Teile die Möglichkeit, die Antwort selbst zu finden?

Die besten Ausstellungen waren immer die, die mich nicht desinteressiert zurückließen, deren Inhalte greifbar waren und die das Thema, um das es ging, mit Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit in den Raum stellten.

Retrospektiven oder Einzelausstellungen zählen für mich nicht zu den Leistungsschauen, weil sie einen bestimmten Zweck verfolgen. Im ersten Fall geht es ganz klar um die Zusammenfassung und Präsentation eines Werkes, im zweiten Fall um die Präsentation einer einzelnen Position.

Beides kann ich als Grundmotivation für eine Ausstellung durchaus akzeptieren.

Was übrigens fast jede Ausstellung schnell unübersichtlich und kompliziert macht, ist der Wille, ein komplexes inhaltliches Konzept durch die Kombination von exemplarischen Arbeiten, die in sich schon hochkomplex sind, als Gesamtwerk zu präsentieren. Komplex + komplex ergibt nicht einfach, sondern chaotisch.

Wie schwierig es ist, diesen (persönlichen) Ansprüchen selbst gerecht zu werden, habe ich bei Ausstellungen, an denen ich mitgearbeitet habe, auch schon am eigenen Leib erfahren. Deshalb bin ich mittlerweile sehr vorsichtig, was man in welcher Form kritisieren kann. Manchmal ist man vielleicht  schon froh, wenn alles rechtzeitig hängt. 

Da Ausstellungen keine Lebewesen sind, also weder über sich selbst reflektieren noch Adressaten von Kritik oder Lob sein können, muss hier eine andere Instanz in den Mittelpunkt rücken. Die Kurator*innen. Sie sind zu loben, wenn eine Ausstellung gut ist, und zu kritisieren, wenn sie es nicht ist. Wenn man sich die Mühe machen will. Was aber unbedingt erwähnt werden muss und oft vergessen wird: Kurator*innen wissen in den meisten Fällen sehr genau, wie man eine Ausstellung macht. Sie haben es irgendwie gelernt, haben studiert, sind ausgebildet oder haben schon viele gute Ausstellungen gemacht. Das heißt: Sie haben Erfahrung. Es kann nicht schaden, vor der nächsten Gruppenausstellung, der Präsentation eigener Arbeiten oder der Erstellung eines Ausstellungskonzepts einmal um Rat oder Hilfe zu fragen. Es gibt viele Fotokurator*innen, die schon Erfahrung haben, aber keiner Institution angehören. Die meisten von ihnen würden sich freuen, wenn ihre Expertise öfter gefragt wäre. Wer ein Fotobuch macht, sucht sich hoffentlich gute Gestalter*innen, wer eine Ausstellung macht, sucht sich am besten Kurator*innen. 

Dann bleibe auch ich wieder länger als 10 Minuten und Timm Starl fühlt sich nicht mehr als Vertriebener.

PS. Langsam kann ich wirklich keine Tapeten mehr sehen, auf denen Bilder in Rahmen hängen. Das hat selten überzeugt.

Hier geht es zum Text von Timm Starl